Atrioventrikuläre Septumdefekte (AVSD), auch bekannt als gemeinsamer atrioventrikulärer Kanal, sind eine Gruppe angeborener Herzfehler, die durch eine Fehlbildung der Endokardkissen gekennzeichnet sind. Diese Anomalie führt zu einer pathologischen Verbindung zwischen Vorhöfen und Kammern sowie zu einer Fehlbildung des atrioventrikulären Klappenapparats. Das Ergebnis ist eine variable Kombination aus Vorhof- und Ventrikelseptumdefekten sowie Malformationen der Mitral- und Trikuspidalklappen.
AVSD machen etwa 4–5% aller angeborenen Herzfehler aus, mit einer geschätzten Prävalenz von 0,3–0,5 pro 1.000 Lebendgeburten. Sie sind häufig mit genetischen Syndromen assoziiert, insbesondere mit dem Down-Syndrom, bei dem sie die häufigste kardiale Läsion darstellen.
Das anatomisch-klinische Spektrum der atrioventrikulären Septumdefekte ist äußerst variabel und reicht von kompletten Formen mit großem atrialem und ventrikulärem Shunt sowie einer gemeinsamen atrioventrikulären Klappe bis zu partiellen oder intermediären Varianten mit lokalisierten Defekten und einem getrennten, aber fehlgebildeten Klappenapparat.
Eine frühzeitige Erkennung und rechtzeitige chirurgische Korrektur sind entscheidend, um die Entwicklung einer irreversiblen pulmonalen Hypertonie, einer Herzinsuffizienz und eines dauerhaften strukturellen und funktionellen Schadens am Herzen zu verhindern.
Atrioventrikuläre Septumdefekte entstehen durch eine Fehlentwicklung der Endokardkissen, embryonaler Strukturen, die für die Bildung des atrioventrikulären Septums und der Herzklappen essenziell sind. Diese Störung tritt frühzeitig, zwischen der fünften und achten Schwangerschaftswoche, auf und beeinträchtigt die normale Ausbildung des Vorhofseptums, des Ventrikelseptums und der atrioventrikulären Klappen.
Zu den gesicherten ätiologischen Ursachen zählen klar definierte chromosomale Anomalien, insbesondere die Trisomie 21 (Down-Syndrom), bei der ein AVSD in bis zu 40–50% der Fälle vorkommt. Die Fehlbildung wird auf eine frühe Störung der Zellmigration und Fusion der mittleren Endokardkissen zurückgeführt. Weitere genetische Störungen, wie die Deletion 8p23 oder das Ellis-van-Creveld-Syndrom, sind seltenere Ursachen.
Zu den vermeidbaren Risikofaktoren – wenngleich weniger klar definiert – zählen nicht kontrollierter mütterlicher Diabetes, die Exposition gegenüber Teratogenen während der Schwangerschaft (z.B. Lithium, Isotretinoin, Alkohol) sowie bestimmte intrauterine Infektionen (z.B. Röteln). Diese Faktoren wirken jedoch eher probabilistisch und sind allein nicht ausreichend, um den Defekt ohne genetische Prädisposition zu verursachen.
Pathogenetisch führt die ausbleibende Fusion der Endokardkissen zur Ausbildung eines Vorhofseptumdefekts vom Typ Ostium primum und eines Ventrikelseptumdefekts im Einlassbereich des Septums, oft verbunden mit einer einzigen atrioventrikulären Klappe, die nicht in Mitral- und Trikuspidalklappe unterteilt ist.
Die Physiopathologie variiert je nach Ausmaß des Defekts. Bei kompletten Formen entsteht ein ausgeprägter Links-Rechts-Shunt auf Vorhof- und Ventrikelebene, der zu einer Volumenüberlastung des Lungenkreislaufs, zur Dilatation beider Herzseiten, Klappeninsuffizienz und fortschreitender pulmonaler Hypertonie führt. Mit der Zeit kann der pulmonale Widerstand so weit ansteigen, dass der Shunt bidirektional oder rechts-links-gerichtet wird (Eisenmenger-Syndrom), was eine schwere klinische Verschlechterung und ungünstige Prognose bedeutet, wenn keine chirurgische Behandlung erfolgt.
Bei partiellen Formen ist der Defekt oft auf das Vorhofseptum beschränkt; die Klappen sind teilweise getrennt, aber dysplastisch. Typisch ist ein vorwiegend atrialer Shunt mit Mitralklappeninsuffizienz, was zu einem milderen, aber potenziell progredienten Krankheitsbild führt.
Die fortschreitende Dilatation von Vorhöfen und Ventrikeln sowie die kompensatorische Hypertrophie der Myokardwände bei chronischer Volumenbelastung begünstigen das Auftreten von atrialen Arrhythmien, supraventrikulären Tachykardien und in fortgeschrittenen Stadien systolischer Dysfunktion und therapierefraktärer Herzinsuffizienz.
Das klinische Bild von atrioventrikulären Septumdefekten hängt vom Ausmaß des Defekts, dem anatomischen Typ (komplett, partiell oder intermediär), der Klappenfunktion und dem Grad des Links-Rechts-Shunts ab. Komplette Formen zeigen sich typischerweise bereits früh nach der Geburt, während partielle Formen über Jahre hinweg asymptomatisch bleiben und erst im Erwachsenenalter aufgrund zunehmender Beschwerden diagnostiziert werden können.
Die neonatale Anamnese bei Patienten mit komplettem AVSD ist oft gekennzeichnet durch Trinkschwäche, Gedeihstörung, Tachypnoe und Schwitzen beim Stillen – alles frühe Zeichen einer kongestiven Herzinsuffizienz.
Bei Säuglingen und Kleinkindern gehören zu den häufigsten Symptomen:
Bei der körperlichen Untersuchung können folgende Befunde auftreten:
Bei partiellen Formen kann sich die klinische Symptomatik später mit Belastungsdyspnoe, Palpitationen oder einem zufällig entdeckten Herzgeräusch äußern. Die Mitralklappeninsuffizienz kann im Verlauf fortschreiten, was zu einer atrialen Dilatation und einem erhöhten Risiko für supraventrikuläre Arrhythmien führt.
Die Diagnose atrioventrikulärer Septumdefekte beruht auf der Kombination klinischer Hinweise mit bildgebenden und funktionellen Untersuchungen, insbesondere bei Verdacht auf einen Herzshunt oder ein anhaltendes Herzgeräusch im Neugeborenen- oder Kindesalter.
Die transthorakale Echokardiographie ist der Goldstandard zur Diagnosestellung. Sie ermöglicht die direkte Darstellung von Vorhof- und Ventrikelseptumdefekten sowie der Morphologie und Funktion der atrioventrikulären Klappen. Der Farb-Doppler ist entscheidend für die Beurteilung von Richtung und Ausmaß des Shunts, das Vorhandensein von Klappeninsuffizienzen und möglichen Zeichen einer pulmonalen Hypertonie.
Bei eingeschränktem akustischem Fenster oder zur genaueren Darstellung der Klappenanatomie kann eine transösophageale Echokardiographie angezeigt sein.
Das Elektrokardiogramm (EKG) zeigt häufig eine biventrikuläre Hypertrophie sowie junktionalen Rhythmus oder einen Rechts-Schenkelblock. Bei kompletten Formen ist eine Linksabweichung der elektrischen Herzachse typisch. Das EKG ist auch im Verlauf hilfreich, um Arrhythmien frühzeitig zu erkennen.
Das Röntgen-Thoraxbild kann bei hämodynamisch bedeutsamem Shunt eine globale Kardiomegalie und Zeichen der Lungenstauung zeigen. Es wird oft bei symptomatischen Patienten zur Ersteinschätzung durchgeführt.
Die Herzkatheteruntersuchung bleibt speziellen Fällen vorbehalten, in denen eine präzise hämodynamische Beurteilung erforderlich ist, insbesondere vor einem chirurgischen Eingriff bei bestehender pulmonaler Hypertonie. Sie ermöglicht die direkte Messung des pulmonalvaskulären Widerstands sowie die Quantifizierung des Shunts (Qp/Qs-Verhältnis).
Weitere bildgebende Verfahren wie die Kardio-MRT oder die Herz-CT können in spezialisierten Zentren bei komplexen Formen oder bei unklarer echokardiographischer Anatomie im Rahmen der präoperativen Planung von Nutzen sein.
Die Behandlung von AVSD ist chirurgisch und stellt die definitive Therapie dar. Im Idealfall erfolgt der Eingriff im ersten Lebensjahr bei kompletten Formen, bevor sich eine irreversible pulmonale Hypertonie entwickelt. Eine frühzeitige Korrektur verbessert die Langzeitprognose und Lebensqualität erheblich.
Bei symptomatischen kompletten Formen ist eine frühzeitige chirurgische Korrektur indiziert, vorzugsweise im Alter von 3 bis 6 Monaten. Der Eingriff besteht in der Verschluss des Vorhof- und Ventrikelseptumdefekts mittels Patches sowie in der Rekonstruktion der gemeinsamen atrioventrikulären Klappe in zwei funktionell getrennte Segel (Mitral- und Trikuspidalklappe).
Bei partiellen Formen richtet sich die Operationsindikation nach dem Vorliegen einer signifikanten Mitralklappeninsuffizienz oder einer fortschreitenden Dilatation der Herzkammern. In diesen Fällen kann die Operation auch später erfolgen, sollte jedoch rechtzeitig geplant werden, um strukturelle Schäden und Arrhythmien zu vermeiden.
Bei Patienten mit schwerer pulmonaler Hypertonie ist eine gründliche hämodynamische Abklärung erforderlich, um ein Eisenmenger-Syndrom auszuschließen. In solchen Fällen kann eine Operation kontraindiziert sein; das Management erfolgt dann palliativ mit medikamentöser Therapie und engmaschiger Überwachung.
In der präoperativen Phase oder bei Patienten, die nicht unmittelbar operiert werden können, kann eine unterstützende medikamentöse Therapie eingesetzt werden, mit:
Langfristig ist eine regelmäßige kardiologische Nachsorge notwendig, mit echokardiographischer Kontrolle, Beurteilung der Klappenfunktion und Screening auf Arrhythmien – insbesondere bei Patienten mit komplexen Klappenrekonstruktionen oder prothetischen Klappen.
Die Prognose bei atrioventrikulären Septumdefekten hängt eng vom anatomischen Typ des Defekts, dem Zeitpunkt der Diagnosestellung und der Qualität des chirurgischen Eingriffs ab. Ohne Behandlung führen komplette Formen in der Regel zu einer fortschreitenden Herzinsuffizienz, irreversibler pulmonaler Hypertonie und einem erhöhten Sterberisiko in den ersten Lebensjahren.
Durch eine frühzeitige chirurgische Korrektur, idealerweise im ersten Lebensjahr, verbessern sich die Langzeitüberlebensraten deutlich und liegen über 90% nach zehn Jahren. Die meisten operierten Kinder führen ein normales Leben mit altersgerechtem Wachstum und Entwicklung. Dennoch ist eine regelmäßige Kontrolle erforderlich, um die Klappenfunktion zu überwachen und späte Komplikationen frühzeitig zu erkennen.
Partielle Formen haben im Allgemeinen eine günstigere Prognose, können jedoch unbehandelt langsam zu einer progredienten Mitralklappeninsuffizienz und atrialer Dilatation mit Arrhythmierisiko führen. Auch in diesen Fällen ist die chirurgische Korrektur meist kurativ, mit exzellentem funktionellem Ergebnis, sofern rechtzeitig durchgeführt.
Komplikationen bei atrioventrikulären Septumdefekten können früh oder spät auftreten und betreffen sowohl unbehandelte als auch bereits operierte Patienten.
Die wichtigsten Komplikationen bei nicht operierten Formen sind:
Postoperative Komplikationen können umfassen:
Die Operationsmortalität ist heute in erfahrenen kinderherzchirurgischen Zentren sehr gering (<2–3%), liegt jedoch höher bei später Diagnosestellung, fortgeschrittener pulmonaler Hypertonie oder komplexen anatomischen Varianten.